Die Verhängung weit reichender Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des SARS-Coronavirus 2 ohne angemessene Datenbasis hat der Epidemiologe John Ioannids von der Stanford University früh kritisiert. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jay Bhattacharya und weiteren Wissenschaftlern hat Ioannidis nun eine Studie vorgelegt, die am Beispiel des Santa Clara County in Kalifornien grundlegende Daten über die Ausbreitung des Virus erhoben hat. Mit Professor Ioannidis sprach John Kirby. Wir dokumentieren den Wortlaut des Gesprächs exklusiv in deutscher Übersetzung.
JOHN KIRBY: Dr. Ioannidis, mit Ihnen sagten Sie, es bräuchte mehr Daten, um die Lage bewerten zu können. Seithem haben Sie diese Daten fleißig gesammelt und drei Studien veröffentlicht. Beginnen wir mit der neuesten, die Sie als „COVID-19, Antikörper Seroprevalenz im Santa Clara County, Kalifornien“ bezeichnen. Was war der Zweck dieser Studie, und was haben Sie herausgefunden?
PROFESSOR IOANNIDIS: Das Ziel dieser Studie lag darin, eine Schätzung darüber zu erstellen, wie viele Menschen im Santa Clara County mit dem Virus infiziert wurden. Und um dies herauszufinden, haben wir untersucht, ob sie Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt hatten. Dazu haben wir eine Stichprobe von 3.300 Einwohnern im Bezirk Santa Clara auf Antikörper untersucht. Auf dieser Grundlage sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass zwischen 2,5 und 4,2 % der Bevölkerung des Countys Santa Clara Antikörper aufwiesen, was bedeutet, dass sie zuvor mit dem Virus infiziert waren.
KIRBY: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrer Studie?
IOANNIDIS: Wenn man die Zahl derer vergleicht, die nach unserer Untersuchung infiziert worden sind – sie schwankt zwischen 48.000-81.000, mit der Zahl der Fälle, die zum gleichen Zeithorizont um den 1. April herum als infiziert gemeldet waren – das waren 956 Fälle, stellen wir fest, dass die Zahl der Infizierten zwischen 50 und 85 Mal höher ist als das, was amtlich angenommen worden war. Gleichzeitig bedeutet das, dass die Infektionsterblichkeitsrate, also die Wahrscheinlichkeit zu sterben, wenn man infiziert ist, um das 50- bis 85-fache abnimmt, weil der Nenner in der Berechnung um das 50- bis 85-fache größer wird. Diese Zahlen legen nahe, dass die Infektionsterblichkeitsrate für das neuartige Coronavirus wohl in der gleichen Größenordnung liegt wie die saisonale Grippe.
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