Da waren sie wieder, die Gralshüter der wissenschaftlichen Exaktheit, Verteidiger der Wahrheit und Anwälte der Patienteninteressen: „Riskante Pillen! Nierensteine durch Vitamin C“ titelte die Ärztezeitung unter Berufung auf eine schwedische Studie. Dergleichen findet sich oft und schnell, sofern es darum geht, die „Gefahren“ von Supplementation herauszustreichen. Selten fehlt bei diesen „Warnungen“ der Hinweis, dass es keine „Beweise“ für die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungen gebe. Ein objektiver Zusammenhang als wissenschaftlicher Beweis könne nur durch „randomisierte Doppelblindstudien“ gezeigt werden. Unabhängig von der Fragwürdigkeit dieser Argumentation ist es bemerkenswert, wie diese Maßstäbe nicht gelten sollen, wenn es um die vermeintlichen Risiken geht. Die besagte Studie aus Schweden ist nämlich eines gerade nicht: randomisiert und doppelblind.
Was die Autoren nicht daran hindert, sehr weitgehende Warnungen auszusprechen, die natürlich in den Medien bereitwillig transportiert werden. Vitamin C erhöhe das Risiko, Nierensteine zu bilden, für Männer beträchtlich. Aha, Männer. Nicht Frauen. Allein dieser Umstand ist bemerkenswert und sollte weitere Klärungen nach sich ziehen. Fehlanzeige. Zwar weisen die Autoren darauf hin, dass es einen Zusammenhang mit weiteren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten geben könnte. Aber die Risikowarnung steht. Dabei könnte das genaue Gegenteil der Fall sein: Vitamin C könnte der Bildung von Nierensteinen vorbeugen, bzw. bei der Lösung von solchen hilfreich sein.
Denn: es gibt zahlreiche verschiedene Arten von „Nieren-Steinen„. Als solche bezeichnet die Medizin verhärtete Ablagerungen in der Niere, die jedoch in ihrer Zusammensetzung – und ihren Ursachen sehr verschieden. Vier der fünf häufigsten Arten von Nierensteinen lösen sich in einem leicht sauren Urin (die Folge von Vitamin C Einnahme). Nur das Kalzium Oxalat genannte Sediment wird nicht von Vitamin C gelöst. Die schwedische Studie hat nicht untersucht, welcher Art die festgestellten Nierensteine waren. Auf dieser Grundlage eine Annahme zu treffen, ist an sich bereits höchst unseriös.
Ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Kalzium Oxalat Nierensteinen und Vitamin C Einnahme gibt, ist mehr als zweifelhaft. In einem Buch über die Grundlagen von Vitamin C hat der Medizinprofessor Edward Cheraskin bereits 1983 festgestellt:
Vitamin C im Urin hat die Eigenschaft gelöstes Kalzium zu binden. Es senkt damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kalzium Oxalat Steine bilden.[1]
Entscheidender (und in der aktuellen Studie aus Schweden völlig unbeachtet) sind weitere Faktoren, die die Entstehung von Nierensteinen aus Kalzium Oxalat begünstigen. Dazu zählen nach einer Aufstellung im Informationsdienst Orthomolecular News Service die mangelhafte Versorgung des Körpers mit Magnesium, Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes und schlechte Ernährung.
Insbesondere Magnesium spielt eine Schlüsselrolle. Es regelt direkt und indirekt (über seine Rolle bei der Umwandlung von Vitamin D in seine aktive Form) den Kalziumhaushalt. Vier von fünf Arten der Nierensteine sind Kalzium Verbindungen. Hier wird freies Kalzium aus dem Blut in der Niere mit Säuren (u.a. Oxalsäure aber auch Phosphorsäure oder Harnsäure) gebunden. Dieses Kalzium wird vor allem dann zuvor aus Knochen oder Bindegewebe gelöst, wenn es ein Ungleichgewicht in der Magnesiumversorgung (Mangel) gibt. Nur bei seltenen Magnesium – Phosphat Steinen, ist das anders. Diese Steine aber werden durch einen sauren Urin mit Vitamin C gelöst.
Neben Magnesium ist auch Vitamin B6 ein wichtiger Kofaktor zur Vermeidung von Steinen (auch das wurde jn der schwedischen Studie unterschlagen). Und auch B1 Mangel wird – allerdings seltener – mit Nierensteinen in Verbindung gebracht. Insgesamt leiden sehr viele Menschen in der westlichen Welt unter einem Vitamin B Mangel, was die Häufigkeit von Bluthochdruck erklären hilft (und der ist wie oben beschrieben, ein Risikofaktor für Nierensteine).
Was erklärt aber die Häufigkeit von Oxalat Steinen? Neben einigen Lebensmitteln (u.a. Spinat, Rhabarber) sind Kaffee und Tee die bei weitem häufigsten Quellen für die Aufnahme von Oxalsäure in der heutigen Zeit.[2] Die erwähnte Studie hat diese Faktoren nicht berücksichtigt, so dass allein hier ein Grund für das (mehrfach problematische) Ergebnis liegen kann: es ist denkbar, dass jene, bei denen Nierensteine diagnostiziert wurden, diese trotz Vitamin C Einnahme und wegen hohen Kaffe- oder Tee-Konsums entwicklet haben.[3] Auch Softdrinks und zuckerreiche Speisen können das Risiko für Nierensteine erhöhen. [4]
Letztlich sind Ablagerungen jeglicher Art häufig eine Folge von mangelhafter Flüssigkeitszufuhr. Der Volksmund spricht von Verkalkung. Auch Nierensteine sind da keine Ausnahme und werden mit Dehydrierung in Verbindung gebracht.[5]
Es ist nicht überliefert, ob die Autoren der Studien im Zuge ihrer Untersuchung auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet haben.
Literaturhinweise:
[1] Cheraskin E, Ringsdorf, M Jr, Sisley E (1983) The Vitamin C Connection. Bantam Books. ISBN
[2] Noonan SC, Savage GP (1999) Oxalate content of foods and its effect on humans. Asia Pacific Journal of Clinical Nutrition. .
[3] Gasinska A, Gajewska D. (2007) Tea and coffee as the main sources of oxalate in diets of patients with kidney oxalate stones. .
[4] J. A. Thom, et al (1978) The influence of refined carbohydrate on urinary calcium excretion. British Journal of Urology, 50(7): .
[5] Manz F, Wentz A. (2005) The importance of good hydration for the prevention of chronic diseases. Nutr Rev. 63(6 Pt 2):