Natürliche Auslese

Prof. Bruce Ames in seinem Büro an der UC, Berkely

Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie unterhalten sich mit jemandem über Gesundheit. Vielleicht, weil Sie ein Kompliment erhalten haben ob ihres Aussehens und ihrer Fitness. Sie erzählen, dass Sie seit geraumer Zeit (in meinem Fall: acht Jahre) Vitalstoffe zu sich nehmen, und nachdem sie ihrem Gegenüber erklärt haben, was darunter zu vestehen ist (nämlich die Zufuhr essentieller und semi-essentieller Grundstoffe des menschlichen Stoffwechsels), bekommen Sie zu hören: »Ach, das brauche ich nicht. Ich bin ja gesund.«

Abgesehen davon, dass die Antwort meistens nicht recht passt zum zuvor geäußerten, durchaus anerkennendem Staunen über Ihr Befinden (und dem impliziten Wunsch : »Ich wünschte, ich wäre auch so gut beieinander«), ist es ein häufiges Phänomen. Und es ist absolut natürlich. Denn der Natur ist es egal, wie wir alt werden. Oder ob überhaupt. Sie hat einen Plan. Und der ist konsequent: Natürliche Auslese. So wie ein Winzer im Jahr durch seinen Weinstock schreitet, um herauszuschneiden, was alt, krank oder mickrig ist, damit alle Kraft des Terroir und der Sonne in die besten Reben fliesst, damit die besten Trauben entstehen, so hält es auch die Natur: sie konzentriert ihre Kraft auf das bestmögliche Überleben der Art. Gesundheit in jungen Jahren und gesunde Weitergabe des Erbguts ist ihr Ziel. Alt werden, gar gesund zu altern, hat die Natur erst in zweiter Linie auf ihrem Plan.

Bruce Ames ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit: nicht nur, weil er inzwischen 86jährig noch immer produktiv und schon allein deshalb ein lebender Beweis dessen ist, dass gesundes Altern nicht nur möglich ist, sondern auch erfüllend sein kann. Die Besonderheit von Ames drückt sich auch darin aus, dass er als einer der renommiertesten und meist zitierten Wissenschaftler der Welt, maßgeblichen Anteil daran hat, dass wir besser verstehen, wie unsere menschliche Gesundheit aufgebaut ist und welche Grundlagen nötig sind, um das natürliche Potenzial voll – also unserem genetischen Code entsprechend – ausschöpfen zu können.

Dazu sind Vitalstoffe unverzichtbar, und zwar in Hülle und Fülle, also üppig und reichlich.

In einem sehenswerten Videointerview erklärt Bruce Ames, was das bedeutet:

Ist die konstante, reichliche Versorgung mit den Stoffen, die unsere Zellen antreiben (daher: Vitalstoffe) nicht gewährleistet, greift sofort der natürliche Selektionsprozess: die Natur erkennt, dass sie sich im relativen Mangel befindet (um alle Prozesse geordnet ablaufen zu lassen, sind nicht genug Vitalstoffe verfügbar), was sie dazu zwingt, zu priorisieren. Und zwar nach diesem Grundmuster: welche Prozesse sind nicht notwendig, um das kurzfristige Überleben erstens der Art und zweitens des Individuums zu gewährleisten? Die Versorgungsketten dieser Stoffwechselprozesse werden zuerst vernachlässigt.

Wir wissen, so Ames, nicht genau, wie diese Prozesse im Organismus ablaufen, obwohl immer mehr Erkenntnisse auch darüber gewonnen werden (beispielsweise die bahnbrechende Erkenntnis der Bedeutung von Vitamin D-Mangel für die Entstehung autistischer Krankheitsbilder durch die entsprechende negative Beeinflussung enzymatischer Prozesse im Gehirn (tph2) und im Darm (tph1)). Doch dass die Priorisierung stattfindet, lasse sich an vielen Beispielen zeigen.

Ames erklärt es am Beispiel des Vitamin K. Mindestens 16 unterschiedliche Enzyme (Proteine) seien bekannt, die auf Vitamin K angewiesen sind. Im Fall einer relativen Mangelversorgung ist die Natur also gefordert, Entscheidungen über die Verwendung des (wenigen) vorhandenen Vitamin K zu treffen, was auch bedeute, dass nur einige (nicht alle) Enzymketten mit Vitamin k „bedient“ werden, während andere „leer ausgehen“. Aber welche?

Ames hat dazu die Triage-Theorie aufgestellt. Triage war ein Selektionsprinzip, mit dem das napoleonische Heer den Mangel (an Ärzten) verwaltete. In Schlachten wurden die in Lazarett eingelieferten Verwundeten in drei Kategorien eingeteilt (Triage = die Dreiteilung): jene, die ohne ärztliche Hilfe wieder „auf die Füße“ kommen würden, jene, für die „jede Hilfe zu spät“ käme und das mittlere Drittel derjenigen, die so schwer verletzt waren, dass sie einen Arzt brauchten, aber nicht so schwer, dass es eine Genesung unwahrscheinlich erschien.

So etwa, meint Ames, müsse man sich das auch mit der Verteilung des Mangels an Vitalstoffen vorstellen. Die höchste Priorität hätten jene enzymatischen Prozesse, die für das unmittelbare Überleben und die Reproduktionsfähigkeit erforderlich sind. Alles andere sei nicht so wichtig. Die Natur überlasse es dem Zufall, ob ein Mangel später (bei besserer Versorgungssituation) nochmals ausgeglichen werden könne, oder ob er sich zu einem zwar fatalen, aber erst langfristig spürbarem Schaden komme.

Im Beispiel des Vitamin K, so Ames habe also die Versorgung jener enzymatischen Prozesse Vorrang, die die Gerinnungsfähigkeit des Blutes betreffe. Sei die nicht gegeben, könnte bereits ein kleiner Schnitt zum Tod durch Verbluten führen. Folglich werden andere Enzymverbindungen wie der Calciumstoffwechsel, der ebenfalls auf Vitamin K angewiesen sei, vernachlässigt. Kurzfristig bleibe der betreffende Mensch lebens- und somit auch reproduktionsfähig. Langfristig könne ein anhaltender Mangel an Vitamin K aber zu Verkalkung der Blutgefäße und Tod durch Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall führen.

Wie Komplex der menschliche Stoffwechsel aufgebaut sei, werde wissenschaftlich erst nach und nach anerkannt, so Ames. Allein die Klassifizierung der Vitamine in bislang 15 unterschiedliche Kategorien sei geprägt von einem auf kurzfristige Folgen beschränkten Betrachtungswinkel, da diese (anerkannten) Vit-amine (=Bausteine des Lebens) in ihrer Funktionsweise auf zahlreiche andere Co-Faktoren angewiesen seien, die ebenfalls Bausteine für das Leben seien. Ames spricht in diesem Zusammenhang daher auch von Langzeit-Vitaminen ( Longevity-Vitamins), zu denen er beispielweise das Beta-Carotin zählt. Es könne bei Bedarf (und Vorhandensein bestimmter Co-Faktoren) in Retinol (Vitamin A) umgewandelt werden, habe jedoch einen erheblich weiteren Einsatzspielraum zum Beispiel beim Schutz der Makula vor hoher Lichtintensität oder anderen Stoffwechselprozessen.

Die Wirksamkeit von Vitalstoffen lasse sich nicht mit pharmakologischen Maßstäben messen, in denen körperfremde und Stoffe in Doppelblindstudien auf ihre Wirkung (und Nebenwirkung) im Organismus getestet werde (zumeist nur in Kurzzeitstudien). Zu komplex sei der Metabolismus des Menschen, als das solche Anordnungen für die vielfältigen und wie oben beschrieben individuell priorisierten Verwendungen von Vitalstoffen übertragbar seien. Zudem komme ein Kostenaufwand hinzu, den sich nur Hersteller patentierbarer und damit ertragsstarker synthetischer Substanzen leisten können.

Ames äußert sich in diesem Zusammenhang auch zum Thema der Dosierung bzw. Zufuhrempfehlung von Vitalstoffen: aufgrund der Reduzierung auf kurzfristig messbare Mangelerscheinungen werde wie im Beispiel Vitamin C (Skorbut als schlimmste, kurzfristig lebensbedrohliche Folge eines Vitamin C – Mangels) in den Zufuhrempfehlungen (RDAs) nur der Wert zur Vermeidung eines absoluten Mangels empfohlen. Dies sei ein grundsätzlich für alle Vitalstoffe zu beklagendes Problem. Doch so wie bei Vitamin K sei es bei allen anderen Vitalstoffen auch: die Gefahr eines relativen Mangels, der zwar kurzfristig „Gesundheit“ (in Wahrheit aber nur Symptomfreiheit) signalisiere, werde allgemein vernachlässigt. Nur so sei die Zunahme der Zivilisationskrankheiten zu erklären, die aus einer schleichenden Unterversorgung mit essentiellen Vitalstoffen resultiere.

Vitamin D, Vitamin B Komplex, Omega 3 – Fettsäuren und eine Multivitaminmischung ergänze er, Ames, jeden Tag trotz einer gesunden, mediterranen Ernährung. Als „Lebensversicherung“, wie er sagte.

Bruce Ames ist 86 Jahre und nach wie vor produktiv.

Veröffentlicht von

Uwe Alschner

Uwe Alschner, Dr. phil. M.A., Traumdoc, Big Five for Life® Coach, ist begeisterter Blogger und Coach. Die Beiträge drehen sich vorwiegend um die Themen Eigenverantwortung, Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung.

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